Assuan ist nicht nur aufgrund der zahlreichen antiken Stätten eine interessante Stadt, das moderne Assuan ist eine der schönsten Städte Ägyptens. Ihre Wurzeln liegen in einer Garnison auf der Insel Abu, auch Yebu. „Ab“ ist ägyptisch für Elefant, die Reste der Garnisonssiedlung fand man auf der heutigen Insel Elephantine. In altägyptischer Zeit entstand die Siedlung Swnw (sprich „Swenu“, ägyptisch für Arzt [1]), in griechisch-römischer Zeit wurde diese Stadt Syene genannt [2].
Die Stadt Syene spielte eine Rolle bei der ersten bekannten Berechnung des Umfangs der Erde durch den Griechen Eratosthenes. Er nahm an, dass Alexandria und Syene auf ungefähr dem selben Längengrad lägen und liess gleichzeitige Messungen der Schattenlänge an identischen Gnomonen durchführen. Durch die Schattenlängen konnte er die Winkel der beiden Orte auf der Erdkugel berechnen und nach präziser Messung der Distanz zwischen den beiden Orten konnte er mithilfe der Kreisbogen-Formel den Umfang berechnen. Rechnet man seine Masse mit der heutigen Präzision der Kreiszahl π nach, kommt man auf eine Abweichung von nur ca. 7% zum heute bekannten Umfang [3].
Wie ihre historischen Vorgänger liegt die heutige Stadt Assuan am Ostufer des Nils, in den Ausläufern des sogenannten ersten Kataraktes. Die Nil-Katarakte sind geologische Hindernisse durch die der Nil in ein enges Flussbett gezwungen wird. In Assuan sind es Granitfelsen die an die Oberfläche treten und vom Nil nicht einfach weggespült oder über längere Zeiträume erodiert werden können. Dadurch kann der Fluss hier nicht frei mäandern, was den Pegel erhöht und die Strömung verstärkt. Solche Stromschnellen bilden ein natürliches Hindernis für Schiffe. Die alten Ägypter mussten ihre Boote hier aus dem Wasser ziehen und über Land um den Katarakt herum transportieren.
Im Nil zählt man, von Norden nach Süden, sechs solcher Katarakte. Dieser ersten Katarakt bildete eine natürliche Grenze für die Ausdehnung des Reiches der Ägypter und wurde zum wichtigsten südlichen Grenzposten und zu einem Handelsort, an dem die Ägypter sich mit Waren aus Nubien versorgten, wie sie damals wohl den ganzen südlicher liegenden Teil Afrikas nannten.
Wie eingangs erwähnt liegt im Nil westlich vor Assuan die grosse Insel Elephantine. Gleich neben Elephantine liegt die Lord Kitchener Insel. Verschiedene weitere Inseln liegen südlich davon stromaufwärts, darunter Agilkia und Philae, bekannt durch den dortigen Tempel. Details zum Gebiet zwischen den Inseln in einem späteren Bericht.
Während meiner Stadtrundfahrt fahren wir durch das Marktviertel. Die Waren werden offen verkauft, in turmhohen, präzisen Stapeln. Auch das Fleisch beim Metzger wird, an Haken aufgehängt, an der offenen Strasse verkauft. Lebende Hühner sitzen dort in Käfigen und werden bei Bedarf geschlachtet.
Auf einem kleinen Hügel, etwas südlich des Stadtzentrums, steht die El Tabia Moschee. Man hat von dort aus eine gute Aussicht (siehe Bild am Anfang des Artikels). Beim Betreten einer Moschee zieht man sich die Schuhe aus, es steht ein Schuhschrank zur Verfügung. Ähnlich wie in christlichen Kirchen soll man sich in einer Moschee ruhig verhalten, um Gläubige nicht zu stören. Gegenüber des Eingangs befindet sich die nach Mekka ausgerichtete Gebetsnische und daneben eine Kanzel für die Prediger. Linkerhand befindet sich ein Waschraum und die Toiletten. Auf der rechten Seite dient ein Teil der Halle hinter einer Trennwand als Bereich für Frauen. Gerne erzählen einem die Reiseführer etwas über die Gebote des Islams und die Rituale in der Moschee. Mein Besuch überschnitt sich mit einer der Gebetszeiten und ich durfte dem örtlichen Imam und den anwesenden Gläubigen beim Gebet zusehen.
Der nächste Halt auf unserer Stadtrundfahrt war bei der Koptische Erzengel-Michael-Kathedrale. Es ist ein sehr moderner Bau, welcher erst 2006 vom koptischen Papst eingeweiht worden war. Die Kirchenfenster setzen viel gelbes Glas ein, wodurch der Innenraum in ein goldenes Licht getaucht wird. Nur an einer Stelle hat es einen Schriftzug, in arabischen und darunter in koptischen Lettern. Die Ikonen erinnerten mich vom Stil her an die in einer griechisch-orthodoxen Kirche die ich in den USA besucht hatte. Mein Reiseleiter Mostafa konnte mir hier nicht so viel Auskunft geben wie in der Moschee. Dafür erzählte ich ihm ein wenig von der Reformation und den verschiedenen Strömungen bei den Christen.
Als gottloser Apatheist kann ich mir nur schwer vorstellen, mich selbst und meine Überzeugungen einer Religion unterzuordnen. Die Tempel der verschiedenen Religionen in Ägypten zeigen jedoch eindrücklich, wie sehr diese das Leben vieler Menschen bestimmt haben und weiterhin bestimmen.
Folgt man der El-Sadat-Strasse vom Bahnhof im Stadt-Zentrum in süd-südöstlicher Richtung, fährt man zwischen dem Nubischen Museum (Museum über die Lebensweise der nubischen Bevölkerungsgruppe vor dem Bau des Assuan-Hochdamms) und dem Steinbruch mit dem unvollendeten Obelisken hindurch. Nach etwa 7 Kilometern gelangt man dann zur alten Staumauer. Diese wurde zwischen 1898 und 1902 von den Briten errichtet, um die Nil-Flut besser regulieren zu können und eine ganzjährige Bewässerung mit Kanälen zu ermöglichen. Dadurch wurde der Anbau von Baumwolle möglich, welche einen hohen Wasserverbrauch hat.
Überquert man den alten Damm und fährt auf der Westseite des Nils weiter, kommt man nach weiteren 6 Kilometern zum Hochdamm. Der alte Damm hatte sich, selbst nach dessen Aufstockung als unzureichend für eine vollständige Kontrolle des Nilhochwassers erwiesen. Bald gab es Pläne für weitere Dämme, teilweise direkt am Ausfluss des Tana- und Victoria-Sees.
Erst nach dem Sturz von König Faruq begannen dann ernsthafte Bestrebungen einen neuen Damm zu bauen. Die deutschen Firmen Hochtief und Rheinstahl Union Brückenbau unterbreiteten Ägypten ein Angebot, die USA und Grossbritannien wollten sich an der Finanzierung beteiligen. Nachdem sich Gamal Abdel Nasser bei den USA mit seiner Anerkennung der Volksrepublik China 1956 und seinen Bemühungen um die Bewegung der Blockfreien Staaten unbeliebt gemacht hatte, zogen die USA ihr Kredit-Angebot zurück. Auch eine Finanzierung über die Weltbank kam nicht mehr in Frage.
Nasser verstaatlichte darauf den Suez-Kanal und es gelang ihm, mit Rückendeckung der Sowjetunion, die darauf folgende internationale Krise zu überstehen. Die UdSSR unterstützte Ägypten auch mit Ingenieuren und Baumaschinen um den Damm ab 1960 zu bauen, auch um mit diesem prestigeträchtigen Projekt Einfluss in Afrika zu erlangen. Die ehemaligen Bewohner des Niltals im Gebiet des heutigen Stausees, die Volksgruppe der Nubier, wurden in die Region um Kom Ombo herum umgesiedelt. Die Rückkehr und Neubesiedelung entlang des Sees ist ihnen bis heute verboten. 1971 wurde der Damm schliesslich unter Nassers Nachfolger Anwar el-Sadat eröffnet.
Auf der östlichen Seite des Hochdamms liegt ein Hafen, von dem aus man den Nasser-See befahren kann. Dieser Hafen ist auch die südliche Endstation der Eisenbahnlinie, welche sich von hier aus durch ganz Ägypten hindurch bis zum Mittelmeer erstreckt. Westlich des Damms liegt Assuans internationaler Flughafen. Etwas weiter vom See entfernt führt auf der Westseite des Stausees eine Strasse durch die Wüste bis nach Abu Simbel.
[1] The doctor in Ancient Egypt – John F. Nunn (PDF), siehe auch Ancient Egyptian Medicine desselben Autors
[2] Schweizerisches Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo: Laufende Forschungen in Syene (PDF) & Elephantine (PDF)
[3] Wie Eratosthenes die Erde vermessen hat – Daniela Friedl (PDF) & Measuring the Solar System – Michael Fowler (PDF)