Heute hat sich Hohn und Spott der Internetbenutzer über Ansgar Heveling, einem Politiker der CDU in Deutschland, ergossen. Was war passiert? Heveling hatte in einem heute veröffentlichten Artikel des Handelsblattes (Scan der Printausgabe) sich mit provokativen Sätzen an die Netzbewohner gewandt:
Liebe „Netzgemeinde“, das Web 2.0 ist bald Geschichte. Die Revolution der „digitalen Maoisten“ geht vorbei – die Frage ist nur, wie groß die Schäden sind.
Für Internetbewohner lesen sich viele der Passagen sehr lustig. Vergleiche hinken, Zitate stimmen nicht. In Twitter gelangte das Hash-Tag #hevelingfacts rasch unter die Top-Trends des Tages. Rasch wurde der Link auf den Artikel im Netz verbreitet und auf Twitter wurde teils ungläubig, teils mit beissendem Spott reagiert. Im Laufe des Nachmittags wurde dann auch noch das allzu leichte Passwort von Hevelings Webseite erraten (es bestand aus dem Vornamen, der Benutzername war der Nachname). Das wurde genutzt um die Webseite mit vermeintlicher Selbstkritik und Rücktrittsankündigungen zu „verzieren“. Gegen Abend war die Webseite aus einem Backup wieder rekonstruiert, jedoch ist sie, wohl durch die hohe Last, derzeit kaum erreichbar.
Die ganzen Vorfälle strotzen nur so von Gründen sich an den Kopf zu fassen:
- Die freie Meinungsäusserung gilt auch für Heveling und so darf er seine Meinung zu diesem Thema natürlich äussern. Leider handelt es sich hierbei jedoch um einen Parlamentarier des Deutschen Bundestags, daher wird seine Meinung natürlich etwas ernster genommen, als die eines durchschnittlichen Foren-Trolls. Und entsprechend aufgeregt war die Reaktion. Wäre das Selbe unter Pseudonym in irgend einem Blog oder Forum veröffentlicht worden, hätte man das ignoriert, getreu dem Motto „Don’t feed the trolls“.
- Das die Webseite von Heveling manipuliert wurde kann man nicht als „Hack“ und noch nicht einmal als „Crack“ bezeichnen. Wer im Jahr 2012 noch den eigenen Namen als Passwort nutzt, benötigt dringend Nachhilfe in den Grundlagen der Computerbenutzung. Mit Heveling muss man hier eigentlich fast Mitleid haben, denn er gehört zu einer Generation die nicht das Privileg genoss, selbstverständlich mit dem Computer aufzuwachsen.
Und damit sind wir eigentlich schon beim Kernproblem: Das Problem ist nicht einfach Ansgar Heveling als Person. Er repräsentiert hier einfach eine gewisse Generation. Und sehr viele der Probleme die wir Netznutzer sehen, die Aktivisten-Kollektiven wie Anonymous zusammenbringt oder politische Parteien wie die Piratenpartei antreibt, sind im Kern Generationenkonflikte. Ich bin ganz sicher nicht der erste der das feststellt.
Es ist dieses Mal einfach etwas komplizierter als bei früheren Generationskonflikten. Einerseits gibt es Urgesteine, Vordenker, die bereits seit vierzig Jahren im und mit dem Netz leben. Aber diese waren in Ihrer Generation die absolute Ausnahme. In den 1980er Jahren hatten schon deutlich mehr junge Menschen die Change dank Heimcomputern die Faszination der Rechenmaschine zu erleben. In meiner Generation war es dann schon recht häufig, einen Computer im Haus zu haben. Es ist also eher ein gleitender Übergang und vermutlich ist nun einfach langsam der Punkt gekommen, an dem das Verhältnis zu kippen beginnt.
Wir, die digital natives oder „Netzgemeinde“, wie uns Heveling nennt, müssen plötzlich Angst haben, dass uns unsere lieb gewonnen Freiheiten wieder genommen werden.
Und sie, die digital immigrants, unsere Eltern- und Grosseltern-Generationen, haben Angst, dass wir mit unseren seltsamen Gedanken Ihre Welt und Ihre Geschäftsmodelle zerstören.
Wir können nun arrogant reagieren, denn die Zukunft wird uns recht geben. Sie, die Dinosaurier, die alten Männer mit Kugelschreiber, werden schon Aussterben. Aber das kann dauern. Daher müssen wir einen Kompromiss finden. Wir müssen Ihre Ängste ernst nehmen und sie beruhigen. Anstatt sie auszulachen müssen wir ihnen die Hand reichen und Ihnen unsere Welt erklären. Wir wollen keine Massenmedien mehr ohne Rückkanal. Es geht uns um Freiheit, um Mitspracherecht. Das Internet bietet alle diese Dinge implizit. Wenn man die Protokolle ändert oder verkrüppelt, funktioniert das System Internet technisch nicht mehr. Alle seine Vorteile sind eben gerade an diesen Freiheiten aufgehängt. Wir hatten all diese Freiheiten für über 30 Jahre, es ist nun zu spät das wieder rückgängig machen zu wollen. Der Geist ist aus der Flasche. Das Internet lässt sich nicht mehr abschalten.
Und die Moral von der Geschichte? Gute Passwörter sind elementar!