Ich hatte gelesen, dieser Tempel sei gross. Das Wort gross ist jedoch nicht angemessen um zu beschreiben wie riesig diese Anlage ist.
Mein Reiseführer Mostafa und ich näherten uns dem Tempel von Westen, also aus Richtung des Nils. Man überquert dabei einen gewaltigen mit Steinplatten belegten Platz. Dahinter steigt man auf eine erhöhte steinerne Plattform. Diese stand vor 3900 Jahren (frühste Bauphasen waren ab ca. 1950 BCE unter Sesostris I.) direkt am Nilufer, welcher damals etwas höher lag und hier bei Luxor etwas weiter östlich als heute floss.
Der Nil war damals auch etwas breiter und die Ufer gingen in sumpfiges Gelände über. Im Norden des Landes (Unterägypten) wuchsen in diesem Sumpfgebiet gerne die heute seltenen Papyrusstauden. Im Süden (Oberägypten) dagegen mehr Lotus. Dieses Sumpfgebiet war auch Heimat von Gänsen, Enten, Flusspferden, Krokodilen und vielen anderen Tieren.
Hier bei Theben stand damals also diese Anlegestelle am Ufer. Hinter dieser Plattform folgt eine Sphingen-Allee, hier mit Widderkopf auf dem Löwenkörper, Symbol des Gottes Amun-Re. Nicht zu übersehen ist der dahinter liegende Pylon. Pylonen nennt man die Torbögen, welche in der Regel den Eingang zu einem ägyptischen Tempel einfasst. Dieser erste Pylon ist gewaltig! An seiner Basis ist er 113 Meter breit und sollte wohl etwa 45 Meter hoch werden. Vor dem Pylon sieht man noch einen von ursprünglich zwei Obelisken. In der Mitte des trapezförmigen Bauwerks befindet sich ein Einschnitt, welcher früher den Torbogen einrahmte.
Solche Pylonen säumen den Weg in unregelmässigen Abschnitten bis zum Heiligtum. Verschiedene Pharaonen liessen den Tempelkomplex immer wieder erweitern. In der Karnak-Anlage stehen insgesamt 10 solcher Pylonen.
Dieser erste Pylon wurde nicht mehr ganz fertig gestellt, weshalb auf der Frontseite nicht die üblichen Reliefs mit dem Pharao zu sehen sind. Auf der Rückseite kann man sogar einen Teil der Rampe aus Nilschlamm-Ziegeln sehen, welche nach dem Abbruch der Arbeiten an diesem Pylon, in griechisch-römischer Zeit, stehen gelassen wurde.
Durchquert man den ersten Pylon, steht man auf einem gewaltigen Innenhof, welcher von Statuen und Kapellen verschiedener Gottheiten umgeben ist. Dieser Platz war einst der öffentlich zugängliche Teil des Tempels. Die Gläubigen übergaben hier ihre Opfergaben den Priestern, welche diese dann im Tempelinneren dem Gott Amun-Re opferten. Ich kann mir vorstellen, dass diese Dienstleistung eine Gebühr kostete. Schliesslich mussten die Priester ja auch von etwas leben. :-)
Wir Nachgeborenen scheren uns um diese Gebote natürlich nicht und dringen ungeniert weiter in den Tempel vor. Es folgt die grosse Säulenhalle. In der Mitte, der Achse der Torbögen entlang, befindet sich eine Doppelreihe von je 10 ca. 22 Meter hohen Säulen. Die je 16 Säulen darum herum sind niedriger. Die Säulen sind über und über mit bemalten Reliefs von Pharaonen, Göttern und Hieroglyphen bedeckt. Auffällig sind die Kopfstücke der Säulen: Bei den mittleren Säulen sind diese geöffneten Papyrus-Blüten nachempfunden, die äusseren stellen Papyrus-Knospen dar. Die Halle stellt also einen stylisierten Papyrussumpf dar.
Hinter dieser Halle folgen weitere Pylonen dicht hintereinander. Im Sandwich dazwischen befinden sich die zwei Obelisken aus der Regierungszeit Hatschepsuts. Einer davon ist bei einem Erdbeben umgekippt und zerbrochen, aber der andere steht noch. Diese 30 Meter hohen Fallus-Symbole wurden aus einem Stück Rosengranit geschlagen.
An der Ummauerung im unteren Bereich dieser Obelisken kann man noch die Rivalität zwischen Thutmosis III. und seiner verhasste Tante/Stiefmutter ablesen. Dieser durfte in einem Tempel zwar nicht wie andernorts Ihren Namen ausmeisseln lassen oder die Obelisken gar zerstören. Aber er liess es sich nicht nehmen die Obelisken einmauern zu lassen um Ihr Andenken zu schmälern, was man hier im unteren Teil noch sehen kann.
Es folgt das eigentliche Heiligtum des Amun-Re-Tempels, mit zahlreichen Götterstatuen. Rechts davon befindet sich der mindestens zwei Fussballfelder grosse Heilige See. Dieses künstlich angelegte und noch bis heute aus Grundwasser gespeiste, rechteckige Becken versorgte die Priester mit Wasser. Dieses benötigten sie um die täglichen, rituellen Waschungen der Götterfiguren durchzuführen. Ob wohl gewisse Opferungen (geopferte Tiere, Bier oder gewisse Nahrungsmittel) Spuren an den Statuen hinterliessen, welche man so entfernte?
Neben dieser hier beschriebenen Tempel-Achse gibt es noch eine zweite, welche ungefähr in einem rechten Winkel dazu verläuft und die Anlage wiederum durch mehrere Pylonen zu anderen Tempeln hin verlässt. Einer dieser anderen Tempel ist derjenige der Mut (Amun-Re’s Gemahlin) und der andere ist nach einer 2,5 Kilometer langen Sphingen-Allee der Tempel von Luxor.